Der Handball am Tollensesee wird 70
Nordkurier, 10.06.2020
Die geplante Party musste wegen Corona verschoben werden. An der Zusammenstellung der Neubrandenburger Handball-Geschichte wird aber weitergearbeitet.
Seit Monaten wühlt sich Hans-Joachim Schröder durch das Stadtarchiv. Er durchforstet mehr als 160 dicke Ordner nach alten Zeitungsberichten über den Handballsport in Neubrandenburg. Die Geschichte ist lang, abwechslungsreich und von vielen Triumphen geprägt.
Los ging es 1950 – mit Großfeldhandball unter freiem Himmel. Gespielt wurde auf Schlacke im damaligen Harderstadion. Anfangs waren noch die Männer erfolgreicher, erst als ASK Vorwärts, dann als Einheit und später als Traktor Neubrandenburg. Ganz nach oben ging es zu Beginn der 1960er Jahre. „Der erste große Erfolg war der Aufstieg der Männer in die DDR-Oberliga. Es gibt heute noch Handballer, die das live miterlebt haben, wie Helmut Tam, unser Torhüter Ali Graumann und Hans Schmidt,“ sagt Schröder, der gerade an einer Handball-Chronik arbeitet. Zwei Jahre spielten die Männer auch Hallenhandball in der Oberliga – das allerdings in Rostock, da es in Neubrandenburg zu der Zeit noch keine passende Halle gab. Ein Grund dafür, dass dieses Kapitel Sportgeschichte in Neubrandenburg kaum bekannt ist. „In Rostock fanden Doppelveranstaltungen statt. Die Zuschauer wollten Empor sehen und guckten uns dann gleich mit. Die Halle in Marienehe war voll, nur leider nicht mit unseren Fans“, erinnert sich Hans Schmidt.
Männlicher und weiblicher Handball – beides wurde lange in verschiedenen Vereinen betrieben. Für die sportlich beste Zeit sorgten in den 1980er Jahren die Frauen von Einheit Sirokko. Trainer wie Udo Höller, Gerhard Träger oder Rolf Meyer brachten ihre Mannschaften bis in die DDR-Oberliga, zweimal schafften sie es dort als beste Betriebssportgemeinschaft auf Platz sechs.
Bekannteste Spielerin war Liane Michaelis. Zwei Jahre, nachdem sie mit der DDR-Nationalmannschaft Olympia-Silber in Montreal gewonnen hatte, wechselte sie 1978 vom SC Magdeburg nach Neubrandenburg. Nach mehreren schweren Verletzungen wollte sie eigentlich aufhören, nahm aber doch das Angebot der Sirokko-Verantwortlichen an. „Das war auf jeden Fall die richtige Entscheidung, weil ich noch ein paar wunderschöne Jahre hatte. Die Höhepunkte waren, wenn wir als kleine BSG die großen Club-Mannschaften besiegten. Das waren alles tolle Mädels, die damals bei Sirokko gespielt haben. Die Stadthalle war immer voll und deshalb hat es unglaublich viel Spaß gemacht“, so Michaelis, die mittlerweile ihren Ruhestand in Leipzig genießt.
Einheit Sirokko war auch Ausbildungsverein. Der Auftrag – Spielerinnen entwickeln und nach Rostock oder Wismar delegieren. Obwohl regelmäßig die Besten abgegeben wurden, mischten auch die eigenen Nachwuchsteams vorn mit. Schröder: „Wir haben unter Norbert Wiedenhöft den ersten DDR-Meistertitel errungen, dazu mehrere zweite und dritte Plätze für Mannschaften von Achim Willert und Ulli Grunow. Spielerinnen wie Heike Ahlgrimm, Marylin Krause und Janet Grunow haben es von Neubrandenburg aus bis in die Nationalmannschaft gebracht.“
Und die Nationalmannschaft war viele Jahre Stammgast am Tollensesee. Zu DDR-Zeiten beim so genannten DFD-Turnier, einer inoffiziellen Weltmeisterschaft, nach der Wende beim international angesehenen Weise-Cup.
Schröder hat bei Fortuna alle Funktionen ausgeübt
Bis 1996 gab es zwei Handballvereine in der Stadt, dann fusionierten der SV 1950 und der HV Fortuna zum heutigen SV Fortuna 50 Neubrandenburg. Frauen- und Männerhandball sind nun vereint unter einem Dach, immer noch wechseln regelmäßig die besten Talente zu den deutschen Topclubs. Hans-Joachim Schröder hat in vielen Jahren so gut wie jede Funktion bekleidet, war Spieler, Schiedsrichter, Trainer und auch mal Präsident. Aktuell sieht er Fortuna auf einem guten Weg. „Der Verein hat über die Jahrzehnte stark auf den eigenen Nachwuchs gesetzt und in Zusammenarbeit mit dem Sportgymnasium sollte das auch in Zukunft so bleiben. Wichtig ist, Rahmenbedingungen für die Mädchen und Jungen zu schaffen, dass sie hier studieren oder eine Ausbildung absolvieren können. Die finanziellen Möglichkeiten sind gut, deshalb ist höherklassiger Handball durchaus realistisch“, so Schröder.
In der kommenden Saison wird er gemeinsam mit Kristina Osterland die Frauen in der Ostsee-Spree-Liga betreuen. Auch die Männer sind wieder viertklassig. Wegen des Corona-bedingten vorzeitigen Endes der vergangenen Saison profitieren sie in der nächsten Spielzeit von einer Sonderregelung.